top of page
1 attention.gif
Aufmerksamkeit

Sterben vor Glück

1 scientist.gif

Der amerikanische Hirnforscher James Olds führte 1953 ein Experiment durch. Er steckte einer Handvoll Ratten Elektroden ins Hirn. Genauer gesagt in das limbische System, dem Teil des Hirns, der zuständig ist für die Verarbeitung von Emotionen und Triebverhalten.

Mit einem Tastendruck konnten die Ratten selber einen Impuls in ihrem Hirn auslösen, durch den sie starkes Glück empfanden - einem Orgasmus gleich. Unbeirrt begannen die Tiere, sich mit der Elektrode im Hirn zu stimulieren.

3 oh yeah.gif

Vor die Wahl gestellt, ob sie etwas fressen oder lieber ihre Lustregion stimulieren wollen, entschieden sich die Ratten dafür, weiter die Taste zu betätigen. Abgelenkt und süchtig nach dem Glücksgefühl verhungerten die Tiere an ihrer Lust.

4 what.gif

Absurd, nicht?

Oder kommt dir das irgendwie bekannt vor?

Hast du heute schon auf eine Taste gedrückt?

Wie oft?

Welche?

Die an deinem Handy?

5 you are not alone.gif

Wenn es darum geht, Tasten für Glücksgefühle zu betätigen, unterscheiden sich die meisten Smartphone-Nutzer nicht allzu sehr von einer Durchschnittsratte.

2 rat.gif

Weltweit besitzen über 2 Milliarden Menschen ein Smartphone. Im Schnitt verwendet ein Smartphone-Besitzer sein Handy über 70x pro Tag. Zählt man jede Berührung kommt er täglich auf 2617.

Zweitausendsechshundertsiebzehn. Pro Tag.

Die meisten frisch verliebten Pärchen berühren sich seltener.

5 wow smartphone.gif

Warum ist das so?

7 too much.gif

Die Zeiten in denen man offline war, sind vorüber. Das Internet ist ein fester Teil des Lebens. Die Menge an Information, mit der ein jeder täglich konfrontiert ist, hat unüberschaubare Ausmaße angenommen. Nicht nur deshalb ist es hart, in diesem Chaos an Informationen herauszustechen.

In seinem Buch Ökonomie der Aufmerksamkeit beschrieb Georg Franck schon 1993, wie Unternehmen zunehmend um eine knappe und wertvolle Ressource kämpfen: Aufmerksamkeit.

8 atencion.gif

Diverse Plattformen – wie Zeitungen, Radio, Fernsehen, Websites oder Apps – tragen sich finanziell, indem sie die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer an den Höchstbietenden verkaufen. Nutzer bekommen die "kostenlosen" Inhalte. Produzenten bekommt die Klicks, die Likes, die Views und machen Platz für Werbung. Doch ist die Konkurrenz groß und in Folge hat es sich eine ganze Industrie zur Aufgabe gemacht Aufmerksamkeit zu generieren.

9 competition.jpg

Emotionen hervorzurufen ist die Grundlage für Aufmerksamkeit. Umso stärker die Emotion, desto mehr Aufmerksamkeit. Das macht sich die Aufmerksamkeits-Ökonomie zu Nutze. So landen z.B. radikalere Inhalte im Feed, da sie mehr Emotionen auslösen und öfter geteilt werden.

10 emotions.gif

Die abgespielten Geräusche beim Klicken der Tasten und Felder sind da, um Gefühle auszulösen. Benachrichtigungen und Apps werden rot designt, da es eine Auslöserfarbe ist, die sofort wahrgenommen wird.

10 red button.gif

Am liebsten schenken wir unsere Aufmerksamkeit aber Dingen, die uns glücklich machen. Soziale Belohnung durch Likes und Katzenvideos machen Spaß.

11 cat.gif

Zusätzlich ist es ein unendlicher Spaß. Ständig erscheinen neue Inhalte. Timelines haben kein sichtbares Ende. Autoplay führt einen nach wenigen Sekunden weiter ins nächste Video. Das Aktualisieren des Feeds als kleiner Orgasmus. All das nicht aus Freundlichkeit, sondern damit Konsumenten mehr Zeit auf der Seite verbringen. Es wird weitergescrollt, da wir nie vollkommen befriedigt sind.

12 scrolling.gif

Doch geht der Kampf um Aufmerksamkeit nicht nur von Unternehmen aus, die ihre Inhalte und Werbebanner verbreiten wollen. Ein jeder versucht, mit Online-Aktivitäten die Beachtung anderer zu erhaschen.

14 50 likes.gif

Nach Franck ist „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen die unwiderstehlichste aller Drogen.“ Das Bedürfnis nach Anerkennung überträgt sich auf das digitale Leben. Posten und teilen, damit es andere sehen. Schreiben und kommentieren als soziale Interaktion.

13 social media mogul.gif

Auch hat man Angst nicht auf dem Laufenden zu sein. Fear of missing out (FOMO) - die krankhafte Angst, etwas zu verpassen - ist zum Phänomen unserer Zeit geworden. Eifrig und immer wieder wird das Smartphone herausgekramt, um zu sehen, ob etwas versäumt wurde.

15 fomo.gif

Bei jeder Vibration und jedem Laut des Handys schießt das Glückshormon Dopamin in unser Hirn. Ähnliches passiert bei Drogen oder anderen Suchtmitteln. An sich selber will es nur keiner wahrnehmen, das sind andere. Man leugnet und verdrängt, wie die meisten Süchtigen.

16 phone addiction.gif

Der Rattenschwanz ist nicht zu übersehen, oder?

Das Center for Humane Technology sucht Wege, den süchtig machenden Technologien entgegenzutreten oder sie zumindest zu kontrollieren. Eine Möglichkeit ist, sich selbst zu regulieren.

17 heres to self control.jpg

Beispielsweise dadurch, seine Apps zu reduzieren, Bildschirme aus dem Schlafzimmer zu verbannen oder am Smartphone nur Mitteilungen zuzulassen, die von Personen und nicht von Maschinen generiert wurden. So vibriert das Handy nicht, weil Apps unter irgendeinem Vorwand Aufmerksamkeit beanspruchen, sondern weil ein echter Mensch eine Nachricht geschrieben hat.

18 new message.gif

In einem Interview wurde der amerikanische Comedian Louis CK einmal gefragt, weshalb er seinen Kindern Smartphones verbiete. Die Kernaussage seiner Antwort: „You need to build an ability to just be yourself and not be doing something. That's what the phones are taking away.“

19 meditation.gif

Anstatt sich mit dem Getippe permanent abzulenken, sei es wichtiger, einfach mal zu sein. Nicht bei jedem Hauch von Langeweile das Handy zu zücken, sondern Momente der Leere zuzulassen. Nicht jede Emotion oder ernste Gedanken mit scrollen zu verdrängen, sondern diese wahrzunehmen: „That’s being a person“.

20 meditation.gif

Dies ist vielleicht auch der Rat dieses Beitrags...

Mehr Stille zulassen, sich weniger ablenken. Mal nichts tun, oder zumindest weniger. Ohne Bildschirm im Bett liegen. Ein ganzes Album der Lieblingsband hören, ohne sich gleichzeitig mit etwas anderem zu beschäftigen. Das Handy nicht auf die Toilette mitnehmen. Eventuell Meditation probieren, ganz unesoterisch. Schreiben, malen, atmen. Weniger berieseln lassen, mehr denken.

21 zen.gif

„You are where your attention is“ schrieb Andrew Sullivan in einem Essay über seine eigene Ablenkungssucht.

Lebenserfahrung ist das, worauf man von Moment zu Moment seine Aufmerksamkeit lenkt. Will man nicht ähnlich wie die Ratten mit den Elektroden im Hirn enden, sollte man vielleicht überlegen, in was man die eigene Aufmerksamkeit investiert.

22 amelie.gif

©2018 Desperately created with Wix.com

bottom of page